Im Interview: Prof. Dr. York Sure-Vetter, NFDI

NFDI – ein effizienteres Forschungsdatenmanagement für die Wissenschaft

Ein Interview mit Prof. Dr. York Sure-Vetter, Direktor der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) und Professor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

Nach Jahren der Vorbereitung wurde im Oktober 2020 der Verein Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) e. V. gegründet. Dieser ist mit dem hehren Ziel angetreten, in Deutschland ein Forschungsdatenmanagement mit einheitlichenStandards zu etablieren, um Forschende aus allen Wissenschaftsdisziplinen besser bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Welche Herausforderungen es dabei zu meistern gilt, erzählt NFDI-Direktor Prof. Dr. York Sure-Vetter im Interview.

Wozu brauchen wir in Deutschland eine Nationale Forschungsdateninfrastruktur?

Wir verfügen in Deutschland über einen gewaltigen, stetig wachsenden Schatz an unterschiedlichsten wissenschaftlichen Daten. Die meisten dieser Daten werden heute nur noch digital erzeugt. Die Wissenschaft und die Wissenschaftsinfrastruktur stehen dabei vor völlig neuen Herausforderungen wie beispielsweise der datenschutzkonformen Nutzung von privaten Gesundheitsdaten oder der hochskalierbaren Nutzung von extrem großen Mengen von Klimadaten.

Zudem ist der Umgang mit Forschungsdaten in den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen heute noch sehr heterogen. Dabei ist die Erkenntnis darüber, welche Chancen und Risiken das Teilen von Daten in einer Disziplin jeweils mit sich bringt, bei vielen Forschenden noch gar nicht angekommen. Das führt beispielsweise dazu, dass ein Laborexperiment für Dritte nicht reproduzierbar ist oder dass Rohdaten für die Beantwortung neuer Forschungsfragen nicht nachnutzbar sind. Das ist insgesamt sehr ineffizient und auf Dauer gesehen unbefriedigend.

Das Ziel von NFDI ist, ein nachhaltiges Forschungsdatenmanagement mit einheitlichen Standards zu etablieren und in die Breite der Wissenschaftsdisziplinen zu tragen. Dafür müssen Datenbestände systematisch erschlossen, langfristig gesichert und gemäß der FAIR-Prinzipien (Findable, Accessible, Interoperable und Re-usable) über Disziplinen- und Ländergrenzen hinaus zur Verfügung gestellt werden. Dieses Ziel ist nur durch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von allen Wissenschaftsdisziplinen und Infrastruktureinrichtungen erreichbar.

Wie soll diese Infrastruktur aufgebaut werden und wer hat das Know-how?

Das Besondere an NFDI ist, dass wir einen Ort des Austauschs für alle Wissenschaftsdisziplinen schaffen, an dem sie miteinander das Forschungsdatenmanagement der Zukunft gestalten und dabei ihre unterschiedlichen Kompetenzen und Erfahrungen einbringen.

So besteht jedes Konsortium nicht nur aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit ausgeprägter fachlicher Expertise, sondern auch aus Infrastrukturfachleuten mit großer Kompetenz für die notwendigen Infrastruktur-Komponenten. Wie beim DFN-Verein kennen sich diese mit den Services aus, die für die Wissenschaft benötigt werden. Darüber hinaus bauen wir Kompetenz-Profile wie das des neuen Berufsbilds Data Stewart auf. Diese fachliche Dualität ist ein ganz wichtiger Pfeiler  bei NFDI und in jedem Konsortium tief verankert: Fachwissenschaft plus Infrastruktur.

Die Services wiederum sollen an bereits bestehende technische Infrastrukturen andocken. Von vorneherein klar war, dass NFDI sich auf der reinen Anwendungsebene bewegt: kein „Blech“, so lautete die Devise bei der Ausarbeitung der Empfehlung für den Aufbau der NFDI – weder finanziert, noch aufgebaut oder betrieben. Für diesen Teil sind wir auf starke Partner angewiesen und haben sie teilweise auch schon mit an Bord: Infrastruktur-Institute aus dem außeruniversitären Forschungsbereich, Rechenzentren, Archive und Bibliotheken, die z.B. die Hardware und die Prozesse, um das „Blech“ am Laufen zu halten, betreiben oder die Datensätze sammeln, aufarbeiten und archivieren.

Was ist das Neue an der Idee einer NFDI?

Neu ist der Anspruch, alle Wissenschaftsdisziplinen in Deutschland an einen Tisch zu bringen, um das Forschungsdatenmanagement ganzheitlich zu verbessern. In NFDI sind die einzelnen Fach-Communities darum disziplinabhängig in eigeninitiativ agierenden Konsortien organisiert. Jede hat ihre eigenen Datensätze mit teilweise individuellen Anforderungen wie beispielsweise speziellen Datenformaten. Gleichzeitig gibt es viele generalisierbare Herausforderungen und Lösungsansätze, die jeweils für viele oder sogar für alle gleich sind. In NFDI profitieren alle Wissenschaften davon, dass wir die Herausforderungen gemeinsam meistern und dabei aus verschiedenen Erfahrungen lernen.

Die einzelnen Communities sind auf einem sehr unterschiedlichen Entwicklungsstand. Es war sozusagen eine Art Hausaufgabe für Wissenschaftsdisziplinen, im Rahmen der Antragstellung bei der DFG auch eine Bestandsaufnahme zu machen und sodann zu entscheiden, was der jeweils nächste sinnvolle Schritt für eine Verbesserung im Umgang mit digitalen Forschungsdaten ist. Jede Disziplin hat ihre spezifischen Herausforderungen und demnach unterschiedliche Schritte, die sie in NFDI gehen will.

In den Lebenswissenschaften sind ethische Fragen und Fragen des Datenschutzes besonders wichtig. In den Naturwissenschaften geht es unter anderem darum, Rohdaten aus Laborexperimenten mit Metadaten anzureichern und besser zur Verfügung zu stellen.

Synergien zu nutzen und diesen Schatz an unterschiedlichen Kompetenzen allen zur Verfügung zu stellen, das war ursprünglich der Anspruch des Rats für Informationsinfrastrukturen (RfII), der mit seinem Positionspapier „Leistung aus Vielfalt“ den ersten Aufschlag zur NFDI gemacht hat. Konsequent weitergedacht bedeutet dieser Anspruch heute, dass die Communities ihre Schritte nicht allein, sondern gemeinsam gehen und dabei voneinander lernen und fächerübergreifend zusammenarbeiten.

Mehr Raum für Daten: Eröffnung der NFDI-Geschäftsstelle am 15.10.2020 in Karlsruhe (von links nach rechts) Sabine Brünger-Weilandt (FIZ Karlsruhe), Holger Hanselka (KIT), Eva Lübke (NFDI-Direktorat), York Sure-Vetter (NFDI-Direktorat) und Frank Mentrup (Oberbürgermeister Karlsruhe) Foto: Cynthia Ruf/KIT

Wie stellen Sie den Erfahrungsaustausch zwischen den Konsortien sicher? Wie erreichen Sie die fächerübergreifende Zusammenarbeit?

Um den Austausch über die Konsortialgrenzen hinweg zu fördern, bauen wir momentan sogenannte Sektionen auf. Die ersten vier Sektionskonzepte wurden bereits Ende September eingerichtet und haben ihre Arbeit aufgenommen. In den Sektionen treffen sich Personen aus unterschiedlichen Konsortien und diskutieren über ausgewählte Querschnittsthemen. Ein Beispiel ist die Sektion zur Common Infrastructure: Hier arbeiten wir an technischen Lösungen für eine gemeinsame Infrastruktur auf Basis der Anforderungen, die aus den verschiedenen Konsortien gesammelt werden.

Gehören zur Common Infrastructure auch die Basisdienste wie zum Beispiel zur Authentifizierung und Autorisierung?

Die dritte Runde wurde ursprünglich für die sogenannten Basisdienste geöffnet. Sehr schnell folgte die Erkenntnis, dass eine Vorbereitungsphase notwendig ist, um wichtige Akteure frühzeitig mit einzubeziehen bei der Definition des Vorgehens zur Etablierung von Basisdiensten. So geht es in der Hauptsache darum, sicherzustellen, dass der Prozess anforderungsgetrieben ist und daher aus den Reihen der Konsortien und der Sektionen mitgestaltet wird. Weitere Akteure wie beispielsweise der Wissenschaftliche Senat des NFDI-Vereins können unterstützen, indem die strategische Perspektive für Basisdienste vorausgedacht wird.

Die Querschnittsthemen und zugehörige Dienste sind eben nicht domänenspezifisch, sondern sie werden, vereinfacht gesagt, „von allen“ benötigt. Die Bereitstellung einer einheitlichen Authentifizierung und Autorisierung durch ein geeignetes Identitätsmanagement ist ein gutes Beispiel für einen Dienst, der allen Konsortien einen Effizienzgewinn bei der täglichen Arbeit ermöglicht.

Es ist bereits jetzt abzusehen, dass die Finanzausstattung der geförderten Konsortien es nicht hergibt, die strukturell notwendigen Basisdienste aus eigener Kraft nachhaltig zu erbringen. Das wirft einige sehr grundlegende Fragen auf. Insgesamt erfordern Basisdienste zwingend eine langfristige Kalkulation der Entwicklungs- und Wartungsaufwände.

Wo sehen Sie momentan die größten Herausforderungen beim Aufbau der NFDI?

Wir sind ein ganz neuer Verein, uns gibt es erst seit Oktober vergangenen Jahres. Und es ist tatsächlich die Aufbauarbeit auf allen Ebenen, die uns dieses Jahr sehr stark prägt. Neben den benötigten Informationsinfrastrukturen und den entsprechenden Abstimmungsprozessen, ist es vor allem der Aufbau der Vereins- und Governance-Strukturen sowie der Geschäftsstelle, mit der wir uns derzeit befassen. Unser jüngstes Erfolgserlebnis ist, dass wir die Konsortialversammlung ins Leben gerufen haben. Als eine der ersten Entscheidungen hat die Konsortialversammlung sodann Mitglieder in den Wissenschaftlichen Senat entsendet, der damit vollständig besetzt ist.

Wir befinden uns in der dritten und letzten Ausschreibungsrunde für die Konsortien – ein durchaus kompetitives Verfahren mit hohen Ansprüchen, aber eben auch mit einer langfristigen Förderung von bis zu zehn Jahren.

Bereits integriert in alle Organisations- und Informationsflüsse sind die Konsortien aus der ersten Runde. Die ersten Sektionen über diese Konsortien hinweg wurden bereits geschaffen. Weitere zehn Konsortien, die in diesem Jahr dazu gekommen sind, werden aktuell integriert. Dabei müssen wir die initialen Schritte so gestalten, dass die zweite und später die dritte Runde ihre Themen und Anforderungen einbringen können, so dass wir keine Silos aufmachen. Dieser Integrationsaspekt ist sicherlich eine der wesentlichen Herausforderungen, die wir aktuell adressieren müssen.

Der gesamte NFDI-Prozess ist geprägt von der zeitlichen Überlappung der drei Phasen des Aufbaus, des Wirkens und der Evaluation. Die ersten Ergebnisse können definitionsgemäß erst nach dem Abschluss der Aufbauphase generiert werden: voraussichtlich ab Anfang 2023, wenn alle 30 Konsortien an Bord sind. Wir werden jedoch bereits 2025 durch den Wissenschaftsrat begutachtet. Die Grundlage für diese Begutachtung ist ein Bericht, der in 2024 einzureichen ist. Das heißt, dass wir eigentlich schon ab 2023 mit den Vorbereitungen der Evaluation beschäftigt sein werden. Dieser enge Zeitrahmen ist extrem sportlich und eine große Herausforderung für alle Beteiligten.

 

»Es ist eine sinnstiftende Tätigkeit und eine interessante Aufgabe. Da bringe ich mich gerne mit meinen Kompetenzen ein. Ich bin ausgebildeter Wirtschaftsingenieur mit Promotion und Forschungsinteressen in der Informatik, habe ein großes sozialwissenschaftliches Forschungsinfrastruktur-Institut geleitet, war aber auch in der Industrie bei einem großen deutschen IT-Unternehmen tätig.«

Was treibt Sie persönlich an als Direktor der NFDI?

Das, was mich schon immer am meisten begeistert hat – dies ist sozusagen der emotionale Teil – ganz verschiedene Menschen mit sehr unterschiedlichen Blickwinkeln kennenzulernen. In der NFDI ist das die nächsthöhere Stufe: mit bis zu 30 verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen in engem Austausch zu arbeiten, finde ich sehr bereichernd. Denn es ist spannend mitzuerleben, was gerade in der Wissenschaft passiert und welche Rolle Forschungsdaten dabei spielen.

NFDI ist einfach ein cooler Arbeitsplatz!

Wo steht die NFDI in zehn Jahren?

NFDI ist ein lebendiges Netzwerk aus engagierten Partnern, die das gemeinsame Ziel verfolgen, Forschungsdaten gemäß der FAIR-Prinzipien bereitzustellen. Alle Wissenschaftsdisziplinen sowie alle benötigten Infrastruktureinrichtungen bringen sich entlang Ihrer Kompetenzen und Leistungsfähigkeiten in den NFDI-Prozess ein. Forschende und Infrastrukturmitarbeitende profitieren von den Chancen, die sich aus einer Kultur des Datenteilens in den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen jeweils ergeben, und sie tragen zur Erkennung und Minimierung von deren Risiken bei.

 

Die Fragen stellte Maimona Id (DFN-Verein)
Die Grafik wurde erstellt von labor3
Dieses Interview ist erstmalig in den DFN-Mitteilungen 12/2021 erschienen.

Weitere Informationen zum NFDI-Verein finden Sie unter: https://www.nfdi.de