Mit Ausbildung Schule machen
Der erste Auszubildende im DFN-CERT hat seinen Abschluss mit Bravour gemeistert und gleich im Anschluss einen Arbeitsvertrag unterschrieben. Ausbilden für den Eigenbedarf lautet die Antwort auf den verschärften Fachkräftemangel – ein Lernprozess nicht nur für die Auszubildenden, sondern für das ganze Unternehmen.
6. November 2024
Hätte jemand Antonio Rodriguez Yorca vor sechs Jahren in Spanien prophezeit, dass er mit 24 Jahren als fertiger Kfz-Mechatroniker noch einmal in Deutschland die Schulbank drücken würde, er hätte gelacht. Seit Januar hat er sein Abschlusszeugnis als frisch gebackener Fachinformatiker für Systemintegration in der Tasche und dazu noch eine Festanstellung bei der DFN-CERT Services GmbH. Der Weg dorthin war lang, streckenweise steinig und führte ihn 2018 von Almerimar in Andalusien ins verregnete Hamburg.
Ausbilden für den Eigenbedarf
Seit zweieinhalb Jahren bildet das DFN-CERT in der Elbmetropole im Bereich Fachinformatik aus – zunächst in der Fachrichtung Systemintegration, später folgte Anwendungsentwicklung. Ein Novum für den Sicherheits-dienstleister, der 1993 als reines Computernotfallteam für die teilnehmenden Einrichtungen im Deutschen Forschungsnetz (DFN-Verein) gegründet wurde. Warum nach fast 30 Jahren erstmalig eine Fachausbildung angeboten wurde?
“Unser Ziel ist es, alle Auszubildenden in ein festes Arbeitsverhältnis zu übernehmen.”
„Dieser Schritt war ein wenig aus der Not heraus geboren. Uns fehlt zunehmend das Fachpersonal, das wir für die stetig wachsenden Aufgaben und Heraus- forderungen in den Bereichen IT-Betrieb und Softwareentwicklung dringend benötigen.
Wir bilden daher ausschließlich für den eigenen Bedarf aus. Unser erklärtes Ziel ist es, alle Auszubildenden nach Beendigung ihrer Ausbildung in ein festes Arbeitsverhältnis zu übernehmen“, erklärt Mathias Baggendorf. Nicht nur Akademikerinnen und Akademiker sind im IT-Bereich gefragt, sondern auch Fachkräfte mit einer fundierten betrieblichen Ausbildung. Laut dem Branchenverband Bitkom hat der Fachkräftemangel im IT-Bereich einen neuen Höchststand erreicht. Insbesondere IT-Security-Fachkräfte sind begehrt. Ein wichtiger Aspekt sei außerdem, dass sie es mit dem hauseigenen Ausbildungsgang in der Hand haben, welches Wissen konkret vermittelt wird, ergänzt Thiemo Nordenholz. Er und Mathias sind die beiden offiziellen Ausbilder für insgesamt fünf Azubis im DFN-CERT. Angefangen haben sie mit einem Auszubildenden mitten in der Coronapandemie.
Aller Anfang ist schwer
Anderthalb Jahre Vorlauf brauchten Mathias und Thiemo bis zum Start der Ausbildung. Zu Beginn standen etliche Fragen im Raum: Wie sehen die gesetzlichen Rahmenbedingungen aus? Welche Ressourcen benötigt ein Unternehmen für die Ausbildung? Und welche Voraussetzungen müssen Ausbilderinnen und Ausbilder erfüllen? Die fehlenden Antworten lieferten die Expertinnen und Experten der Handelskammer Hamburg. Als Partner der Ausbildungsbetriebe beraten und unterstützen sie Unternehmen dabei, ein Ausbildungskonzept zu entwickeln. Der gesetzliche Ausbildungsrahmenplan gibt die fachlichen Inhalte vor, die durch den Betrieb vermittelt werden müssen. Für die Fachrichtung Systemintegration sind das unter anderem das Konzipieren und Administrieren von IT-Systemen und das Installieren und Konfigurieren von Netzwerken. Kurzum: Fachinformatikerinnen und Fachinformatiker für Systemadministration sind die ersten Ansprechpersonen im Betrieb, wenn Störungen von IT-Systemen oder des Netzwerks auftreten.
Zwingend notwendig für die offiziellen Betreuenden im Betrieb ist die sogenannte Ausbildereignung. Bevor der erste Azubi eingestellt wurde, mussten Mathias und Thiemo die erforderlichen arbeitspädagogischen Kenntnisse in einem zweiwöchigen Lehrgang erlernen und diese zusammen mit ihren fachlichen Fähigkeiten nach der Ausbilder-Eignungsverordnung in einer Prüfung nachweisen. „Ich war überrascht, was wir als Vorbereitung auf die Prüfung alles lernen mussten: Methodik, Didaktik, fast wie im Lehramt“, sagt Mathias. Sie sind aber nicht die Einzigen, die sich an der Ausbildung im DFN-CERT beteiligen. Ein Team aus insgesamt sechs Leuten bestreitet die Betreuung. Einmal im Monat trifft sich die Gruppe, um sich auszutauschen, zu planen und aktuelle Herausforderungen zu besprechen.
Die Ausbildung in Deutschland ist überwiegend dual aufgebaut. Das heißt, etwa ein Drittel der Ausbildung erfolgt in der Schule in Unterrichtsblöcken von drei bis vier Wochen und zwei Drittel, circa sechs bis acht Wochen am Stück, in Vollzeit im Betrieb. Der Tagesablauf im DFN-CERT ist für die Azubis strukturiert. Am Vormittag findet eine etwa einstündige Lerneinheit statt, die durch einen Betreuenden vorbereitet und durchgeführt wird. In dieser wird ein ausgewähltes Thema, beispielsweise das OSI-Referenzmodell, gemeinsam erschlossen. Ergänzend werden verschiedene Übungsaufgaben gestellt, mit denen sich die Azubis eigenständig bis zum frühen Nachmittag beschäftigen. Nachdem die Aufgaben mit den Betreuenden besprochen wurden und mögliche Fragen geklärt sind, verbringen die Azubis den restlichen Arbeitstag in der ihnen zugeordneten Fachabteilung, schnuppern in das Tagesgeschäft und lernen die konkreten Arbeitsabläufe in ihrem späteren Tätigkeitsfeld kennen.
“Als Antonio seine Ausbildung antrat, galt der Ausnahmezustand.”
Als Antonio am 1. August 2021 unter Pandemiebedingungen seine Ausbildung zum Fachinformatiker für Systemintegration beim DFN-CERT antrat, war das in dieser Form noch nicht möglich.
Es galt der Ausnahmezustand. Nur einmal in der Woche durfte er sich mit seinem Ausbilder Mathias mit Abstand und Maske im Büro treffen, um den Ausbildungsplan zu besprechen. Den Rest der Woche lernte er von zu Hause aus. „So isoliert zu lernen fiel mir sehr schwer“, gibt der gebürtige Spanier zu, der zudem noch der erste und einzige Auszubildende war zu der Zeit. Sehr viel zusätzliches Eigenstudium investierte er, um am Ball zu bleiben.
Sein Wunsch, in Deutschland zu arbeiten und zu leben, reifte 2017 mit einem Besuch bei einem Verwandten in Hamburg – einen Ausflug zum Nürburgring machen und ein paar Runden drehen, das war der Plan. Danach absolvierte er ein Praktikum für KfzSicherheit. Zurück in Spanien begann er zunächst, Ingenieurwesen zu studieren. Aber Deutschland ließ ihm keine Ruhe. Jetzt oder nie, dachte er sich und kehrte ein Jahr später mit einer deutschen Zeitarbeitsfirma zurück nach Hamburg – mit zunächst wenig deutschen Sprachkenntnissen. „Alles, was ich an Deutsch kann, habe ich mir im Rahmen der Arbeit angeeignet“, sagt er. Etwa drei Jahre arbeitete er in seinem erlernten Beruf, sah aber zunehmend keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr für sich. Sein Entschluss, die Branche zu wechseln, stand. „Ich hatte schon immer ein riesiges Interesse an Computern und Technik“, erzählt Antonio. Bereits in der Schule sei er der Nerd gewesen, der für die Mitschüler deren Computerprobleme gelöst habe.
Die Chemie muss stimmen
Antonios Enthusiasmus war es auch, der Mathias und Thiemo im Vorstellungsgespräch überzeugte. Ihnen kommt es in erster Linie auf die Motivation und die Persönlichkeit an. Die Chemie muss stimmen, schließlich wollen die beiden künftige Kolleginnen und Kollegen ausbilden. „Rein fachliche Qualifikationen sind für uns nicht ausschlaggebend. Mir ist wichtig, dass jemand wirklich zu uns passt. Das DFN-CERT arbeitet mit vertraulichen Daten, da benötigen wir Kolleginnen und Kollegen, auf die man sich absolut verlassen kann“, sagt Mathias. „Wenn uns jemand schon im Bewerbungsschreiben von seiner Leidenschaft für den Beruf überzeugen kann, dann ist uns das wichtiger als eine Zwei in Mathe“, bekräftigt Thiemo. Entscheidend sei nicht immer die Papierlage, sprich die Bewerbungsunterlagen, sondern der menschliche Aspekt.
Reden ist Gold
Ein wichtiges Instrument des Ausbildungskonzepts sind engmaschige Feedbackgespräche zwischen Ausbilder und Auszubildenden. Letztere kennen in der Regel das Berufsleben noch nicht und müssen in das Sozialgefüge Betrieb erst hineinfinden.
“Wir stehen in der Verantwortung, dass unsere Azubis ihre Ausbildung schaffen.”
„So merken wir rechtzeitig, falls jemand beim Lernen den Anschluss verliert oder anderweitig Schwierigkeiten hat“, sagt Thiemo.
Außerdem sei dieser Austausch auch eine wertvolle Rückmeldung für die Ausbilder, ob sie das Wissen gut vermittelt haben. „Negatives Feedback musst du dir als Ausbilder aktiv abholen. Denn auch als Ausbilder will ich mich entwickeln und verbessern. Letztendlich stehen wir in der Verantwortung, dass unsere Azubis ihre Ausbildung schaffen“, betont Mathias.
Nicht nur über fachliche und didaktische Skills sollten Ausbilder verfügen, auch Empathie im Zwischenmenschlichen und Sensibilität für die verschiedenen Persönlichkeiten der Azubis sind hilfreich. „Die Zeit vor Antonios Abschlussprüfungen und Abgabe seiner Projektarbeit war ziemlich heiß. Er hatte seine Ausbildung auf zweieinhalb Jahre verkürzt und stand sehr unter Druck“, erinnert sich Mathias. Auch Antonio wird diese Zeit nicht so schnell vergessen. Zum Lernstress nach einem Acht-Stunden-Tag kam noch die Sorge, in den Abschlussprüfungen zu versagen. „Zum Glück konnte ich mit Mathias und meinen Kolleginnen und Kollegen über alles reden. Mathias‘ Zuspruch ‚wir schaffen das gemeinsam‘ hat mir Mut gemacht“, sagt Antonio.
Die Ausbildungsprüfungen fallen ausschließlich in den Hoheitsbereich der Industrie- und Handelskammern und werden von diesen organisiert. Die Prüfung der Fachinformatiker wird in zwei Teilen absolviert: Der erste Teil wird nach anderthalb Jahren abgelegt und besteht aus einer schriftlichen Klausur über 90 Minuten. Der zweite Prüfungsteil am Ende der regulär dreijährigen Ausbildung beinhaltet neben drei weiteren 60-minütigen schriftlichen Klausuren auch eine praktische Projektarbeit. Für die Vorbereitung und Durchführung stehen den Auszubildenden insgesamt 35 Stunden zur Verfügung. Während dieser Zeit sind sie von jeglicher betrieblichen Arbeit freigestellt. Anschließend erfolgt die mündliche Verteidigung des Projektthemas vor dem Prüfungsausschuss. Für seine Projektarbeit erstellte Antonio ein Konzept zur Optimierung und zum Monitoring des WLAN-Netzes im DFN-CERT. „Das hat auf der einen Seite einen echten Mehrwert für unsere Firma, auf der anderen Seite motiviert es die Auszubildenden viel mehr, wenn sie ein reales Problem lösen können“, betont Mathias.
An der Praxis entlang entwickeln
In den fast drei Jahren Ausbildung im DFN-CERT hat sich das Lehrkonzept stark weiterentwickelt. Waren die Inhalte zu Beginn eher theorielastig, so verfolgen sie heute einen aufgabenorientierten Ansatz. „Wir hatten am Anfang keinen Masterplan für die Ausbildung. Wir haben ein Konzept entworfen, geschaut, wie es in der Realität funktioniert und dann sukzessive nachgebessert. Heute arbeiten wir viel mehr mit konkreten Beispielen aus unserer fachlichen Praxis“, erklärt Mathias.
“Das Vorwissen der Azubis ist sehr unterschiedlich.”
Erstaunt waren die beiden Ausbilder auch, wie unterschiedlich das Vorwissen der Azubis ist. Das reicht von „Hier ist der Knopf zum Einschalten“ bis hin zu ausgeprägten Kenntnissen in Programmiersprachen.
„Aber auch mit gefährlichem Halbwissen oder falschem Wissen müssen wir teils aufräumen“, gibt Thiemo zu. Um einen einheitlichen Wissensstand aufzubauen, beginnen sie heute mit Basics wie etwa dem Aufbau und den Kernfunktionen eines Computers. Daraus hat sich nun das umfangreiche Modul „IT-Grundlagen“ entwickelt. Dieses behandelt neben dem Aufbau der Hardware Themen wie Speicherarten, Datenprotokolle oder Möglichkeiten der Datenübertragung.
“Gehirnkater statt Muskelkater”
Antonio brachte bereits gute Vorkenntnisse mit. Was ihm mehr zu schaffen machte, war nicht nur die Umstellung von einer körperlich aktiven Tätigkeit als Kfz-Mechatroniker auf eine permanent vor dem Bildschirm sitzende Beschäftigung, sondern auch das viele Analysieren und Grübeln über die Arbeit, das sich auch nach Feierabend nicht einfach abstellen lässt. „In der IT startest du oft mit einem Problem und hast zum Schluss eine Verkettung verschiedenster Probleme. Wie bei einer Zwiebel geht es immer tiefer in die nächste Schicht“, sagt er. Die Diagnose sei wesentlich komplexer als bei einem Auto. Das A und O bei dieser Arbeit sei, Ruhe zu bewahren und strukturiert vorzugehen, wenn es hektisch wird. Gleichzeitig ist die Lösung eines Problems aber auch das, was ihn an seinem neuen Beruf am meisten befriedigt. „Gehirnkater statt Muskelkater“, bringt er es auf den Punkt. Als ITler dürfe man nie aufhören zu lernen. Eine IT-Technik, die heute aktuell ist, kann morgen schon veraltet sein.
Fazit
Das Resümee von Thiemo und Mathias nach Beendigung des allerersten Ausbildungsganges fällt sehr positiv aus. War es zu Beginn noch etwas hektisch, hat sich mittlerweile eine Routine eingestellt.
“Den ersten Kollegen selbst ausgebildet zu haben ist ein echter Gewinn.”
Trotz der vielen Pionierarbeit hatten sie eine Menge Spaß und haben auch viel gelernt – über sich selbst und über ihre Fähigkeiten als Ausbilder. Beide würden den Weg jederzeit wieder gehen.
„Den ersten Kollegen selbst erfolgreich ausgebildet zu haben, ist ein echter Gewinn für unsere ganze Firma. Ich bin mir sicher, dass wir diesen Erfolg mit den kommenden Ausbildungsjahrgängen weiter fortsetzen werden!“, sagt Mathias. „Wir bilden zwar Leute aus, die hinterher überall arbeiten können. Aber in erster Linie können und sollen sie das bei uns“, betont Thiemo. Jeder Azubi, der übernommen wird, ist ein Gewinn und eine Investition in die Zukunft des DFN-CERT.
Auch Antonio blickt zuversichtlich auf seine berufliche Entwicklung. Ihn interessieren unterschiedliche Bereiche in der IT. Zuerst möchte er mehr Erfahrung sammeln – um seinen künftigen Berufsweg besser zu finden, aber auch, um sein Wissen einmal weitergeben zu können, genau wie Mathias und Thiemo. Für die Chance, die ihm das DFN-CERT gegeben hat, wird er immer dankbar sein, sagt er. Hamburg ist mittlerweile seine zweite Heimat geworden. Mit seiner Freundin, die er in der Hansestadt kennengelernt hat, ist er zusammengezogen. Die norddeutsche Kultur und Lebensart haben es ihm angetan, und auch das typisch norddeutsche Wetter gehört für ihn dazu. Das Einzige, mit dem er sich nicht anfreunden kann, sind Matjes und Mettbrötchen. „Das kann meine Freundin schon zum Frühstück essen. Da dreht sich mir der Magen um“, sagt er lachend.
AUSBILDUNG ZUM FACHINFORMATIKER (M/W/D)
Mögliche Fachrichtungen:
- Systemintegration
- Anwendungsentwicklung
- Daten- und Prozessanalyse
- Digitale Vernetzung
Ausbildungsdauer: 36 Monate
Prüfungen:
- Abschlussprüfung Teil 1 nach 18 Monaten, schriftliche Prüfung (90 Min.)
- Abschlussprüfung Teil 2 zum Ende der Ausbildung, 3 schriftliche Prüfungen (je 60 Min.), praktische Projektarbeit mit Präsentation und mündlicher Verteidigung
Fachrichtungsübergreifende Fertigkeiten und Kenntnisse:
- Planen, Vorbereiten und Durchführen von Arbeitsaufgaben
- Informieren und Beraten von Kundinnen und Kunden
- Beurteilen marktgängiger IT-Systeme
- Entwickeln, Erstellen und Betreuen von IT-Lösungen
- Durchführen und Dokumentieren von qualitätssichernden Maßnahmen
- Umsetzen, Integrieren und Prüfen von Maßnahmen zur IT-Sicherheit und zum Datenschutz
- Erbringen von Leistungen und Auftragsabschluss
- Betreiben von IT-Systemen
- Inbetriebnahme von Speicherlösungen
- Programmieren von Softwarelösungen
Ergänzende Ausbildungsinhalte (Anwendungsentwicklung):
- Konzipieren und Umsetzen von kundenspezifischen Softwareanwendungen
- Sicherstellen der Qualität von Softwareanwendungen
Ergänzende Ausbildungsinhalte (Systemintegration):
- Konzipieren und Realisieren von IT-Systemen
- Installieren und Konfigurieren von Netzwerken
- Administrieren von IT-Systemen